Polen 2019: Die Geschichte soll sich nicht wiederholen!

... Wir begannen uns innerhalb der Studiengruppe zu organisieren und Aufgaben zu verteilen. Eine Gruppe kümmerte sich um die Finanzierung, eine um die inhaltliche Planung, eine um die Unterkünfte und eine weitere um die An- und Abfahrt. Da wir innerhalb unserer Studiengruppe über unterschiedliche finanzielle Mittel verfügten, hatten wir entschieden, quasi keinen pauschalen Reisekosten  für die Teilnahme an der Reise aufzustellen. Stattdessen stellte jede*r die Ressourcen zur Verfügung, die sie*er leisten konnte, um niemanden aus der Studiengruppe von der Reise auszuschließen.

Vielfältige Unterstützung

Mit dem Fortschreiten der Planung zeigte sich, dass die Finanzierung einer solchen Reise eine größere Herausforderung darstellte, als wir zuvor angenommen hatten. Für viele Unterstützungsangebote erfüllten wir leider nicht die richtigen Kriterien - angefangen bei der Wahl des Reiseziels bis hin zur inhaltlichen Gestaltung vor Ort, die wir uns selbst aussuchen wollten. Häufig waren diese Kriterien bei möglichen Geldgeber*innen für Bildungsreisen vorgegeben. Daher verdanken wir es vor allem der Bezuschussung durch die Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie, dass wir die Kosten der Reise tragen konnten. Neben der Hochschule danken wir auch der zuvor schon erwähnten Deutsch-Polnischen Gesellschaft, die uns nicht nur finanziell, sondern auch mit einem Sprachkurs unterstützte.

Unsere Reise begann am 30. September 2019 in Hamburg. Von dort aus fuhren wir früh morgens mit zwei Autos nach Krakau. Nach zehn Stunden Fahrt kamen wir abends in unserem Apartment in Krakau an. Dort kochten wir zusammen und beendeten gemeinsam den ersten Tag unserer Reise.

Am nächsten Tag nahmen wir an einer sechsstündigen Stadtführung durch Krakau teil. Die erste Hälfte der Führung bezog sich vor allem auf die Historie des Landes vor dem 20. Jahrhundert. Wir erfuhren etwas über die Altstadt, Handelsverbindungen und die Krönungskirche. Im zweiten Teil besichtigten wir das ehemalige jüdische Viertel. Dabei lernten wir viel über verschiedene Gebäude aus der damaligen Zeit, typische Rituale und Zeremonien des Judentums und die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit. Für den dritten Tag hatten wir kein festes Programm eingeplant. Anstattdessen sollte jede*r vor Ort die Möglichkeit haben, sich etwas herauszusuchen. Eine Gruppe verbrachte den Tag damit, durch Krakau zu schlendern, eine andere Gruppe besuchte den im „kommunistischen Stil“ erbauten Stadtteil Nowa Huta und eine dritte Gruppe besichtigte das ehemalige Konzentrationslager Płaszów am Rand von Krakau. Am Abend trafen wir uns wieder und begaben uns gemeinsam in ein Restaurant, was uns die Möglichkeit gab, uns über die gesammelten Erfahrungen auszutauschen.

Königliche Basilika und Erzkathedrale der Heiligen Stanislaus und Wenzeslaus am Wawelhügel 

Nach Auschwitz

Am vierten Tag reisten wir weiter nach Oświęcim (Auschwitz). Dort waren wir in der internationalen Jugendbegegnungsstätte untergebracht und bekamen, neben Unterkunft und Verpflegung, eine inhaltliche Vorbereitung auf unseren Besuch des ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau am nächsten Tag.

In Vorbereitungsseminaren erklärte man uns die Entstehung und Funktion des Hauses. In der zweiten Einheit erhielten wir dann Informationen zum ehemaligen Konzentrationslager, beispielsweise durch Biografien. Zudem wurden wir über bestimmte Symboliken und Denkmäler aufgeklärt, auf die wir achten sollten, wenn wir das KZ besuchen. Am Abend bereiteten wir uns innerhalb unserer Gruppe noch auf die mögliche emotionale Belastung des Besuches vor.

Am zweiten Tag in Oświęcim brachen wir morgens in Begleitung einer FSJ-lerin zur Gedenkstätte auf. Die Führung begann am sogenannten Stammlager. Wir gingen durch das Tor, über dem ,,Arbeit macht frei‘‘ steht, mit dem Wissen, dass wir den Ort freiwillig besuchen und keinerlei Zwängen unterliegen, im Gegensatz zu den Menschen, die dort früher interniert und umgebracht wurden. Das umgedrehte „B“ in dem „Arbeit macht frei“, das Gefangene als Ausdruck der Rebellion falsch herum aufgehängt hatten, verstärkte dieses Gefühl. Auf dem Gelände des Stammlagers stehen vor allem gemauerte Gebäude, die vor der Aneignung der Nazis als Kasernen dienten. Heute werden einige der Gebäude als Ausstellungsorte genutzt. Wir erhielten Informationen zu den jeweiligen Gebäuden und ihren damaligen Funktionen, zu den Transporten, zum Tagesablauf der Gefangenen und zu der Verwaltung des Lagers. Anspannung machte sich in der Gruppe breit. Zudem sahen wir verschiedene erhaltene und restaurierte Objekte der Gefangenen und Schriftstücke der Nazis. Unter den ausgestellten Objekten waren neben Bergen an alten Schuhen und Koffern auch abrasierte Haare der Häftlinge, welche die Nazis weiterverarbeiten wollten.

Die ausgestellten Schriftstücke waren zudem fast alle in Deutsch verfasst, was es uns, im Gegensatz zu vielen anderen Besucher*innen, ermöglichte, sie zu lesen. Im Nachhinein beschrieben einige aus unserer Gruppe, in diesem Moment Schuld empfunden zu haben, da die Schriftstücke, welche diese unfassbaren Gräueltaten festhielten, in „unserer eigenen“ Sprache verfasst waren. Aber auch die Berge von Schuhen und Haaren zu sehen, wurde von einigen als sehr emotional erdrückend beschrieben, weil es diese unwirklich scheinenden Taten ein Stück greifbarer machte.

Gegen Ende des ersten Teils der Führung kamen wir zu dem Gebäude, das als ,,Krankenstation‘‘ deklariert wurde. In der Realität war es der Todestrakt. Neben zwei großen Räumen, in denen Kranke auf dem kahlen Fußboden auf ihren Tod warten mussten, gab es den Keller, in dem die Folterräume verortet waren. Einer der Räume war eine Stehzelle, in der bis zu fünf Personen ausharren mussten, kaum größer als eine gängige Dusche. Für uns war unbegreiflich, wie dort überhaupt mehr als drei Personen Platz finden sollten. Dazu gab es eine licht- und luftdicht verschlossene Zelle und eine Hungerzelle. Im Erdgeschoss  des Gebäudes stand am Ende des Flurs ein Galgen. Von diesem Flur führte ein Gang nach außen in eine Art Innenhof. Dort befindet sich die sogenannte Todesmauer, an der zahlreiche Menschen erschossen wurden. An der Mauer sind die Einschusslöcher noch heute zu erkennen.

Eindrücke, die verarbeitet werden müssen

Nach einer kurzen Mittagspause fuhren wir mit einem Shuttlebus zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Dieses ist ca. drei Kilometer vom Stammlager Auschwitz entfernt. Wir begannen den zweiten Teil der Führung am Turm des Einfahrtsgebäudes, von wo aus wir eine gute Sicht über das ehemalige Konzentrationslager hatten. Der Großteil der alten Baracken, in die die Gefangenen gepfercht wurden, war bis auf die Schornsteine heruntergebrannt. Allerdings sind einige Gebäude wieder aufgebaut worden. Laut der ursprünglichen Baupläne waren diese Gebäude als Pferdeställe gedacht. In der Realität wurden dort aber hunderte Menschen gefangen gehalten. Nachdem wir einige der Baracken gesehen hatten, kamen wir zu der ehemaligen Laderampe. Dort kamen damals die Gefangenentransporte an. Meistens wurde schon dort entschieden, wer noch arbeitstauglich ist und wer direkt getötet wird. Des Weiteren sahen wir einen Gebäudekomplex, in dem die Gefangen nach ihrer Ankunft „abgeduscht“, rasiert und mit den Häftlingsuniformen eingekleidet wurden. Mit am bedrückendsten waren die zerbombten Überreste der Krematorien, in denen hunderttausende Menschen ermordet wurden.    

Am nächsten Tag besuchten wir eine Ausstellung von Marian Kołodziej, einem der ersten Gefangenen in Auschwitz. Die Ausstellung war im Keller eines Franziskanerklosters in Oświęcim. Die 250 ausgestellten Bilder verschiedener Größen zeigten die Verarbeitung seiner Erfahrungen aus Auschwitz. Einer der Mönche des Klosters führte uns durch die Ausstellung und erzählte über Marian Kołodziejs Gedanken zu der Ausstellung und zu den Bildern. So habe er wohl zum Beispiel zu den Mönchen gesagt: „Ihr baut dort oben den Himmel, ich baue hier unten die Hölle“. Da wir am Vortag noch im Stammlager Auschwitz und dem KZ Auschwitz-Birkenau gewesen waren, haben uns die Bilder sehr berührt. Nachdem wir die Ausstellung besichtigt hatten, fuhren wir zurück zur Jugendbegegnungsstätte und führten selbstständig eine Nachbereitung unseres Aufenthaltes in Auschwitz durch. Diese sollte es uns ermöglichen, unsere Erfahrungen zu teilen und zu verarbeiten.

Am Nachmittag verließen wir Oświęcim und fuhren weiter nach Warschau. Dort kamen wir nach ungefähr vier Stunden Fahrzeit an und beendeten den Tag mit einem gemeinsamen Essen. An unserem ersten ganzen Tag in Warschau hatten wir kein festes Programm eingeplant. Ein Teil unserer Gruppe besuchte den Kultur- und Wissenschaftspalast, der früher auch „Stalinpalast“ genannt wurde. Dieser wurde auf Anordnung von Josef Stalin als „Geschenk an das polnische Volk“ erbaut. Danach aßen wir in einer Milchbar zu Mittag. Die Milchbars gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in Polen. Dort wurde und wird sehr preiswertes Essen ausgegeben. Früher dienten die Milchbars dazu, um massenhaft breite Bevölkerungsschichten zu verpflegen. Am nächsten Tag teilten wir uns auf und gingen zu verschiedenen Stadtführungen. Eine Gruppe nahm an einer Führung über Warschau im Kommunismus teil und eine weitere Gruppe besuchte eine Führung durch das alternative Stadtviertel Praga.

Die Pawiak-Ulme aus Bronze mit Gedenktafeln zur Erinnerung: Der Pawiak war Gefängnis und dann KZ in Warschau. 

Im ehemaligen Waisenhaus von Janusz Korczak

Am darauffolgenden Tag besuchten wir das ehemalige Waisenhaus von Janusz Korczak. Dort wurden wir herzlich empfangen und bekamen einen umfangreichen Einblick in das Schaffen Janusz Korczaks, der bis zu seiner Deportation durch die Nazis das Waisenhaus leitete. Was die meisten von uns bis dahin noch nicht wussten war, dass er nicht allein handelte, sondern zusammen mit Stefania Wilczyńska. Zusammen führten sie das Waisenhaus und sind besonders für ihre fortschrittliche und partizipative Pädagogik bekannt geworden. Dies war für uns sehr lehrreich, da das geteilte Wissen zu unserem Berufsfeld gehört. Weil die Nazis das Haus während des Krieges selber nutzten, wurde es nicht zerstört. So standen wir in einem großen Raum mit hohen Decken, der früher das Zentrum des Lebens im Haus gewesen ist. Er diente in erster Linie als Speisesaal. Der Raum war nicht mehr im Zustand von damals. Aber an einer der Wände hing ein großes Bild, auf dem der damalige Saal mit zahlreichen Kindern abgebildet war.

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