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Hans-Jürgen Benedict, Nachruf auf Harald Ihmig 16.6.1939 – 4.4.2023

Harald Ihmig war von 1975 bis 2004 Professor an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie in Hamburg.

Als Harald  60 wurde, wollten wir ihn mit einer festlichen Veranstaltung ehren. Doch er hat das mit einem klaren Votum unterbunden. Ihm ging es wohl wie Victor Klemperer, der anlässlich der Feier seines 70.Geburtstages  in seinem Tagebuch notierte: „Mir war, als wohnte ich meiner eigenen Beerdigung bei.“  So würde auch mein Nachruf Harald  wahrscheinlich zu einem knappen selbstironischen Kommentar   genötigt haben. Aber er sei trotzdem versucht.

Der 1939 in Hall/Tirol geborene Harald Ihmig war nach seinem Theologiestudium  eine Zeitlang Assistent bei Traugott Koch,dem späteren Hamburger sysrtematischen Theologen, in Regensburg. Hier hatte er erste Kontakte zu einer sozialpädagogischen Tätigkeit durch Mitarbeit in einem Jugendprojekt. Harald arbeitete an einer Promotion zu den sozialrevolutionären Aktivitäten der englischen Independentisten, als sich 1975 die Chance ergab, nach Hamburg an die Fachhochschule des Rauhen Hauses zu gehen. Es war ein Glück für die kleine  FHS, dass sie diesen Theologen als Professor und Lehrer bekam. Denn ein begnadeter Lehrer, der die jüdisch-christliche Tradition für das Studium zum Sozialarbeiter und Diakon auf einladende und reflektierte Weise fruchtbar machte, das war er. Er prägte Generationen von SozialarbeiterInnen bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2004. Er war aber (als ehemaliger Leistungssportler) auch ein Kämpfer. Das konnte er unter Beweis stellen, als er 1980 zum Rektor gewählt wurde. Denn die Nordelbische Kirche wollte damals die Fachhochschule nicht weiter betreiben. Durch vielfältige Aktionen und Proteste wurde die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht. Dazu gehörten u.a. eine Demo vor dem Landeskirchenamt in Kiel, eine Sternfahrt zur Synode der Nordelbischen Kirche in Rendburg 1982 und eine kämpferische Rede Haralds auf der Synode  für den Erhalt der Hochschule. Aber auch viele Gespräche hinter den Kulissen; das führte schließlich  dazu, dass die Kirche den Vertrag über die FHS mit dem Rauhen Haus und der Stadt Hamburg verlängerte. Als sein Rektorat  1984 endete, war die Fachhochschule gerettet.

Nach fünf Jahren zog es Harald zurück in die Lehre, der sein  eigentliches Interesse galt. Unverdrossen und ungebrochen hielt er an der Vision einer Welt fest, wo nicht mehr das Geld, sondern das Leben der Menschen die Hauptsache ist. Was Harald auszeichnete, war die Verbindung von radikaler Kritik, die dem gesellschaftlichen Übel an die Wurzel geht und der durch Jesus angestifteten Hoffnung auf das Reich Gottes mitten unter uns.

Haralds Sprache war  unverwechselbar. Ich greife zu einem großen Vergleich: was Adorno über Walter Benjamin sagte, traf abgewandelt auch auf ihn zu: „Was er sagte klang, als käme es aus dem Geheimnis und war zugleich geprägt von Evidenz.“ Harald Ihmigs Sprache  war einerseits genau und scharfsinnig in der Analyse der Lebensweisen in der Marktgesellschaft, darin wie Würde durch Wert ersetzt wird. Das marxistische Analyseinstrumentarium  wandte er gelungen auf die durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Entwertungen an. In dem mit Studierenden herausgegebenen Impulse-Band Selbstwert und Marktwert hat das seinen Niederschlag gefunden.

Andererseits war Harald  sehr sensibel und eigensinnig in dem Aufspüren dessen, „was dem Leben dient". Was er mit seiner Lieblings Orthoprakterin Etty Hillesum so sagte: Die Menschen sind „Hieroglyphen Gottes.“ Es gehe in der Sozialen Arbeit darum, „das Leben herauslesen aus den Menschen“, das, was wir nicht auf den ersten Blick in ihnen entdecken. Diesen "Miniaturen des Geistes", eine dritte Lieblingsformel Haralds, nachzugehen war für ihn Aufgabe einer diakonischen Theologie.

Er wollte  Diakone und Diakoninnen ausbilden, die für eine „Diakonie mit Biß und Eigensinn“ eintreten, um eine vierte von ihm bevorzugte Metapher zu zitieren.

Sie sollten „Lärm schlagen für das Leben“, wie er in seiner Auslegung der neutestamentlichen  Geschichte vom blinden Bartimäus sagte. Letztlich mündeten seine Analysen und Visionen in ein großesKonzept der die Welt verwandelnden Liebe. Das aber konkret auf die Ebene des Alltäglichenheruntergebrochen war. So in dem Tagungsband Wochenmarkt und Weltmarkt  Kommunale Alternativen zum globalen Kapital. In der vornehmlich von ihm organisierten internationalen Konferenz mit dem amerikanischen Theologen John B.Cobb. im Jahr 2000 wurde eine Gegenposition zur liberalen Welt-Marktwirtschaft entwickelt.  Kurz: Ohne die spezifischen Harald-Töne und Initiativen  wäre die Hochschule ärmer gewesen. 

Neidisch  konnte es einen als Kollegen machen, wie es Harald immer wieder gelang, Studenten und Studentinnen mit seinem nicht marktgängigen Wert- und Liebesverständnis so zu animieren, dass sie seine  theoretischen Fäden weiterspannen und außerordentlich tiefsinnige Diplomarbeiten verfassten.

Diese absolute Ernsthaftigkeit im Denken, dieses Pathos im ursprünglichen Sinne wurde von Haralds  freundlicher Ironie  im Alltagsumgang begleitet. Immer wieder mal gab es einen  Scherz, einen kleinen Spott, eine freundliche ‘Anmache’.

In seiner Lehre spielten seine Luther-Seminare eine wichtige Rolle.2019 konnte er seine Luther-Studien in dem Band Luthers Reformation .Eine Einführung in ihre Widersprüche bündeln. Es war ihm ein besonderes Anliegen, den reformatorischen Umbruch  in die Spannung zwischen christlichem Ursprung und unserer Existenz in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft zu stellen. Luther wird ihm trotz seiner mittelalterlichen Rückständigkeit zu einem frühen Zeugen für den Protest gegen die Kommerzialisierung des Lebens, der er die Freigiebigkeit der Liebe gegenüber stellte.In den letzten Jahren vor seiner Krankheit  konnte er noch seine wichtigsten theoretischen und praktischen Beiträge zur Sozialen Arbeit in dem Band Ethik und Ökonomie. Zum Eigen-Sinn sozialer Arbeit in einer Marktgesellschaft , die zur Theologie in dem Band  Nicht fertig mit Gott. Spurensuche im Unbekannten versammeln.

Konkret war Harald Ihmig auch in seiner Menschenrechtsarbeit. Besonders der Kampf gegen die Verletzung der Menschenrechte in Mexiko war ihm ein dringliches Anliegen, das er auf mehreren Reisen nach Mexiko umzusetzen versuchte.

Harald wohnte mit seiner Frau Penka und seinem Sohn Simon in der Straße Beim Rauhen Hause. Also nicht nur sprichwörtlich ganz nahe an der Fachhochschule des Rauhen Hauses. Für 30 Jahre (und selbst oft noch  nach der Pensionierung) war Harald der Professor, der am häufigsten am Ort der Lehre zu sehen und anzutreffen war. Und nicht zu vergessen: Harald war aktives Mitglied der Brüder- und Schwesternschaft und belebte seinen Konvikt mit neuen Ideen.

Nach langer Krankheit ist Harald Ihmig am 4.April 2023 im Alter von 83 Jahren in Hamburg verstorben.

 


 

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