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Ein Nachruf auf Georg Klinzing

Von Hans-Jürgen Benedict und Barbara Rose

Georg Klinzing wurde 1979 als Professor für evangelische Theologie an die Evangelische Fachhochschule berufen. Als im Fach Neues Testament promovierter Theologe und langjähriger Gemeinde- und Jugendpastor der Hannoverschen Landeskirche kannte er sich im Umgang mit jungen Menschen aus, zumal mit solchen, die sich unbequem  verhielten hatte und denen  Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen wichtig war. So war der Einstieg in die Lehrtätigkeit angesichts einer kritischen Studentenschaft für ihn relativ einfach. Andererseits geriet Georg zu Beginn seiner Lehrtätigkeit in die erste existentielle  Krise der Fachhochschule hinein. Die damals noch Nordelbische Kirche  hatte die künftige Existenz der Hochschule auf den Prüfstand gestellt und vor allem deren mangelndes  diakonisches Profil bemängelt, ein Thema , das Georg während seiner gesamten Lehrtätigkeit beschäftigen sollte. In der Auseinandersetzung mit der Kirchenleitung lernte man Georg als engagierten Kämpfer  für die Hochschule kennen, der auf  ungerechte Entscheidungen scharf und zornig reagieren konnte.

Schon in Hannover hatte Georg  als  Mitglied der Mitarbeitervertretung die Probleme kirchlicher MitarbeiterInnen in einer von Pastoren dominierten Kirche kennengelernt. Bei der Ausbildung von Sozialarbeiterinnen  und Diakoninnen war es ihm besonders wichtig, dass deren Arbeit in den Kirchengemeinden als gleichberechtigt mit der pastoralen Arbeit anerkannt wurde. In Hamburg war neben dem theologischen Curriculum sein Schwerpunkt die Jugendarbeit als Tätigkeitsfeld der Absolventinnen. Aber natürlich interessierte ihn brennend, wie die von ihm ausgebildeten Sozialarbeiter und Diakone von ihrer Kirche behandelt wurden. Ihn beunruhigte die dramatische Abwanderung der Rauhe Haus-Absolventinnen aus den Gemeinden. Wieso arbeiteten sie lieber beim Staat oder freien Trägern? Er arbeitete deswegen in der „Fachkonferenz kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ mit. Diese veranstaltete  im September 1994 eine Fachkonferenz in Rendsburg, auf der Georg Klinzing den Einleitungsvortag zu der provozierenden Frage hielt: „Braucht die ‚Pastorenkirche‘ noch ‚MitarbeiterInnen‘?“ In diesem Vortrag (abgedruckt in H.-J-. Benedict, Hg., Wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt…Stichworte für eine streitbare Diakonie, Hamburg 1995,114ff) kritisierte er die traditionelle hierarchische Struktur der Kirche, in der zwischen Pastor und Mitarbeiterinnen ein Vorgesetztenverhältnis bestand, das etwa dem Apostel Paulus völlig fremd war. Zweitens stellte er fest, dass den Gemeinden ein diakonisches Selbstverständnis fehlte. Er mahnte an, dass für die Gestaltung von Gemeinschaft, gegenseitiger Hilfe und für den Beistand der Armen in der Gemeinde Fachleute notwendig seien. Drittens machte er sich Gedanken um die Planung der zukünftigen Gestalt von Kirche. Bei Jesus gab es keine Rangfolge zwischen verbaler Verkündigung einerseits und der Stiftung von Gemeinschaft und Heilung andererseits. Eine genauere Erforschung der Situation der MitarbeiterInnen in der Kirche sei notwendig und müsse auf einer Themensynode der Nordelbischen Kirche erörtert werden. Der Prozess der Professionalisierung der Diakone sei voranzutreiben, was in dem Konzept einer gemeinwesenorientierten Gemeindediakonie mit dem Diakon als Fachmann für das Gemeinwesen  von der Fachhochschule dann auch umgesetzt wurde. Klinzings Vortrag wurde von MitarbeiterInnen begeistert begrüßt, während die anwesenden Pastoren eher entsetzt waren. Man kann rückblickend sagen, dass dies ein Höhepunkt von Georg Klinzings öffentlichem Wirken als Professor der evangelischen Hochschule des Rauhen Hauses war. Bleibt zu erwähnen, dass er als freundlicher, geduldiger und zugewandter Lehrer beliebt war bei seinen Studierenden, auch wegen der gründlich vorbereiteten Seminare, ein verlässlicher Kollege, der  von 1990 bis 1994 Prorektor der Hochschule war. 1994 wurde er pensioniert, hat aber noch 10 Jahre lang als Lehrbeauftragter an der Hochschule gewirkt. Fast dreißig Jahre hat Georg Klinzing seinen Ruhestand genießen können. Seine private Leidenschaft galt der Barockmusik, die er in einem kleinen von ihm gegründeten Ensemble als Oboist zur Aufführung brachte. Das tat er auch schon bei Jubiläen und runden Geburtstagen des Kollegiums. Ich weiß nicht, ob er mit Nietzsche gesagt hätte „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“. Aber dass der christliche Glaube ohne Musik, man denke nur an Bachs Kantaten und Passionen und Händels Oratorien, ärmer wäre, war ihm Gewissheit. Nach einem langen  Leben ist er am 17.Dezember 2023 im Alter von 91 Jahren in Wentorf verstorben.

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